Sevda Chkoutova.

24 h - Zeichnungen
11.06.2010 bis 07.07.2010


 

Sevda Chkoutova ist 1978 in Sofia, Bulgarien geboren. Sie zog mit 19 Jahren für ihr Grafik- und Malerei-Studium an der Akademie der Bildenden Künste nach Wien, wo sie heute noch lebt.

Sie zeigt einen Querschnitt ihrer zeichnerischen Tätigkeit des letzten Jahres: Einerseits beeindruckende Großformate mit stilistisch und inhaltlich sehr divergenten Frauenbildern von bestechender Technik. Sie scheint auf der Suche zu sein nach einem ihr gemäßen Frauenbild in der postfeministischen Ära und erzählt dabei von den Freuden und vielleicht noch mehr von den Leiden der Mutterschaft.

Auf der Suche nach dem zeitgemäßen Mutterbild konfrontiert uns die Künstlerin mit dem Busenkopf, dessen Warzenaugen verwundert auf den eigenen Körper zurückblicken. Der pralle Busen sitzt im Kopf und verdrängt das Denken. Meine zugegeben sehr persönliche, ziemlich unerotische Assoziation zu dieser Zeichnung war: Trotz aller theoretischen Geburtsvorbereitung und mentalen Einstellung auf die Zeit nach der Geburt, kann Frau sich nicht wirklich vorstellen, was es heißt, plötzlich 24 Stunden Mutter und Milchspenderin zu sein, zu stillen und je nach dem mit schmerzenden Brüsten darauf zu. warten, dass der Säugling einem Erleichterung verschafft oder umgekehrt zu befürchten, dass man zu wenig Milch haben könnte...

Alles unter einen Hut, alles in einen Koffer zu stopfen, bringt die stärkste Frau an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Es gilt, Ansprüche hinunterzuschrauben, damit der Kofferkopf nicht platzt.
Neben einer weiteren,  ‚Madonna’ mit traditionellem Bildschema begegnen wir ‚Weibsbildern’ in puppenhafter Starre. Auch sie bieten kein positiv besetztes Bild von Weiblichkeit.

Andererseits stehen wir vor einer Wand dicht voll kleinformatiger oft skizzenhafter Tuschezeichnungen. Sie sind bevölkert mit einer wahren Fülle von meist weiblichen, oft nackten Figuren, aber auch Männer, Babys, Puppen und Teddybären kommen vor. Sie schildern bruchstückhaft und karikierend den überbordenden, oft auch überfordernden Alltag einer Frau und Mutter und lassen dabei auch die dunkelsten Winkel der Sexualität nicht aus.
Dabei widerspiegelt die collage-artige Zeichnungswand nur ungefiltert und ungeschönt die aktuelle Lebenssituation der Künstlerin, welche ungefähr eineinhalb Jahren ihr erstes Kind geboren hat. Auf sehr subjektive und emotionale Art und Weise versucht sie die eingreifenden Veränderungen auf körperlicher und seelischer Ebene zeichnerisch umzusetzen. Trotzdem haben wir es nicht nur mit einer autobiographischen Bilderzählung zu tun. Dazu sind die Zeichnungen viel zu gekonnt, fantasievoll und  fragmentarisch, expressiv und erregt.
„Die Betrachtung der Frau in all ihren Facetten als Mutter, Geliebte, Frau, Hausfrau, arbeitende Frau.“ So hat die Künstlerin treffend ihren Motivkreis umschrieben. Verfolgen wir ihre künstlerische Entwicklung der letzten zehn Jahre, hat sich auch ihr Stil verändert. Von früher manchmal sehr naturalistischen zu persönlich gefärbten, lockeren Zeichnungen von großer Virtuosität.
Sevda Chkoutova spürt in ihren Zeichnungen der Entwicklungspsychologie vom Kind bis zur jungen Mutter nach. Ihre eigene künstlerische Entwicklung verläuft dabei parallel zu ihrer persönlichen Entwicklung  und scheint in die hybriden Körper der Dargestellten eingeschrieben. Dabei projizierte sie früher ihre persönliche Lebenserfahrung, Fantasien und Ängste gerne auf Fotos von Adoleszenten, deren Gesichter sie erfindet. Waren es vor acht Jahren Kinderfotos, welche sie in fotorealistischer Manier umsetzte, die mit ihren Titel sweet harmony schon die Brüchigkeit des Idylls antönten, folgte eine Serie mit dem Titel Kinderspiel, das die Ambivalenz des kindlichen Spiels, das so leicht und unschuldig nie ist, thematisiert. In der Serie Karussell (2007) zeichnete sie die Kinder vorpupertär, mitten in der körperlich-sexuellen Entwicklung, in der Serie verblüht schließlich sind es Kindfrauen, die ihre ersten sexuellen Erfahrungen möglicherweise bereits hinter sich haben. Diese irritierenden, sexuell aufgeladenen Zeichnungen sind vor dem Hintergrund eines alten bulgarischen Sprichworts, das die Künstlerin in ihrer Jugend oft gehört haben muss, besser einzuordnen: „Eine junge Frau verblüht in dem Augenblick, in dem sie der Finger eines Mannes berührt.“ Sie thematisieren die patriarchale Doppelmoral von hohem, von den Frauen erwartetem Jungfräulichkeitsideal und der Realität, in der immer auch tabuisierter Missbrauch mitschwingt.
Dass die Künstlerin in ihren Zeichnungen oft Zuschreibungen von Weiblichkeit vornimmt, die wir sonst eher aus männlicher Perspektive gewohnt sind, macht die Sache noch ambivalenter und verwirrender. Was für ein Frauenbild transportieren ihre Zeichnungen heute?
Paula Modersohn Becker war wohl die erste Frau, die sich künstlerisch eingehend damit befasst hat. Sie ist mit 31 Jahren  an den Folgen der Geburt ihrer ersten Tochter im Wochenbett verstorben. Unterdessen hat sich sehr viel verändert. Trotzdem sind die Produktionsbedingungen von Künstlerinnen mit Kindern nach wie vor schwierig.

Eva Bächtold  , Basel Mai 2010