Giovanni Rindler

Skulpturen, Zeichnungen
16.10.2013 bis 23.11.2013


 

Balanceakte.

In vielerlei Hinsicht scheint es schlüssig, dass Giovanni Rindler den griechischen Kuros als eines seiner Figurideale nennt. Die jungen, eigentlich zwitterhaft anmutenden Männer der Archaik stehen, sie ruhen in sich. Wenn auch ihre Schrittstellung das Potenzial von Bewegung andeutet, so ist dieses Schreiten nur ein Symbol einer Ausrichtung auf den Betrachter, das den dargestellten Menschen aber tatsächlich nie aus der Ruhe bringt. Rindlers Werk korreliert mit diesem Formprinzip einer selbstgenügsamen, in sich abgeschlossenen Realität der Figur. Die Steine und Bronzen des gebürtigen Südtirolers verdeutlichen die Suche nach Balance – einer ganz bewussten Tarierung der Komposition am Achsenkreuz der Horizontalen und Vertikalen, einer Liebe zur Symmetrie und in Erweiterung zur Frontalität des Vorbildes ein gekonnt zelebriertes Spiel mit den Wesen von Ansichtsseiten. Das feine „archaische Lächeln“, das mit den Kouroi eigen ist, und ihre Nacktheit, die bei den Griechen als Ausdruck von Selbstbestimmung und Autonomie galt, liefert die Referenz eines idealisierten, selbstbezüglichen Kunstverständnisses, das in Relation zum vorliegenden Oeuvre einer wienerischen Akademieprägung in gleicher Weise entspricht - wie sie dieser auch widerspricht. Die konzeptive Strenge der Avramidis-Schule findet Bestätigung in einer an der Senk- und Waagrechten verorteten Komposition, doch würde der kritische Lehrmeister die Rindlerschen Gestaltung von Schönheit im Schwebezustand vermutlich einen Verlust an Bodenhaftung beklagen. Rindler ist jedoch im besten Sinne bodenständig, weil das Fundament seiner Kunstlaufbahn eine Schulung liefert, die im harten Klima der Grödner Schnitzertradition und ihrer technischen Praktikabilität zu verorten ist. „Die Augen aufgemacht“ für eine Kultur des Infragestellens, die Giovanni Rindler sowohl von dieser Herkunft als letztlich auch vom steifen Avramidis Korsett emanzipiert, hat dem Künstler, dessen Lehrer Josef Pillhofer. Seine Ermutigung, weiter in die Tiefe zu gehen, lieferte durchaus in doppelbödigem Sinne den Input und den Grundstein einer Kunsthaltung, die zwar auf das Statische setzt, doch dem rein Statuarischen eine Schwerelosigkeit gegenüberstellt, die durchaus formal eigenständig, rein optischen und rezeptionsästhetischen Überlegungen folgt. Deutlich wird die Suche nach Tiefgang durch Rindlers wiederholt bestätigtes Interesse am Relief, an der gezielten Auseinandersetzung mit bildräumlich in die Tiefe geschichteten Folien. Entscheidend ist dabei jedoch nicht der Illusionsraum, der sich von einem Betrachterstandpunkt aus im Sinne eines malerischen Perspektivtrichters erschließt, sondern eher im Anklang an spätmittelalterliche, schablonen- und kulissenartig organisierte Tafelmalerei eine Schichtung vor Augen führt, die zwar räumlich plausibel ist, doch gleichzeitig eher das Bedingtsein eines Vorder- und Hintergrundes demonstriert. Verständlich wird dieser Zugriff auf die Bildwelt nicht nur in den in sich verschachtelten Körpern und Gesichtern, sondern auch in den ebenfalls im Holzschnitt transformierten Bergketten der Dolomiten seiner Heimat. Rindler übersetzt hier die Naturanschauung in seine Denkwelt. Er verzichtet auf die Darstellung des romantischen Illusionsraumpotenzials, in dem er ohne Variation der Linienstärke seine Vorlage, wie er sagen würde, „geistig zerlegt“.  Die teilweise auch mehrfarbig gedruckte Bergkette zeichnet ein Ornamentband, in dem sich die Form von der Naturreferenz glöst hat. Die Umrisslinie des Bergverlaufs wird zum Anlass eines innerbildlichen Spannungsbogens, in dem eine Geschichte erzählt wird, die sich als eigenständiges Infragestellen von Formprinzipien genügt. Giovanni Rindler fasziniert die Art und Weise, wie sich bereits zwei Linien als Kräftevektoren verhalten, wie sie zusammenlaufen, auseinander gehen und dabei wiederum Energiefelder schaffen. Unter gleichen Vorzeichen zu lesen ist das bildhauerische Werk, in dem der plastischer Entwurf lieber anstelle einer vielleicht naturgetreueren Untertreibung, im Sinne der Figurpräsenz der Übertreibung und damit der Eigenständigkeit des Artefakts folgt.Die frühen, bausteinartig geketteten Köpfe sind Ausdruck einer modularen Vereinfachung, die für Rindlers spezifische Aneignung, seinen Zugriff auf die Wirklichkeit, genauso signifikant wie substantiell notwendig ist. Seine Kunst pendelt zwischen den Versuchen, einerseits zu einer Essenz der Reduktion vorzudringen, und gleichzeitig andererseits auf Basis dieser Zurückhaltung, in der Gestaltung selbst wieder zur Komplexität zurück zu schwingen. Dem Versuch, einfach zu sein, folgt die Lust nach dem immer noch komplexeren Balanceakt. 

Winfried Nuszbaummueller