Walter Moroder.

Skulpturen
03.12.2014 bis 24.01.2015


 

Form der Stille

In der Kunst von Walter Moroder, wie in seinem Erfahrungsschatz, finden sich einige zentrale skulpturale Elemente wieder: Körperausdruck und Formgebung. Sein Interesse für die figürliche Darstellung ist tief in seiner Kultur und seiner Gestaltungserfahrung verankert. Das ladinische Umfeld und die angesehene Schnitzertradition des Grödnertals, gepaart mit dem Studium bei Prof. Hans Ladner an der Akademie der Bildenden Künste in München, ebneten den Weg für eine von Anfang an strukturierte Vorgehensweise bei der Erkundung des menschlichen Körpers, der Modellierung von Holz und der Figur-Raum-Beziehung. Dass Moroder aus dem anfänglichen Impuls etwas entwickelt hat, verdankt sich zweifellos seiner Gabe, der menschlichen Figur Kraft und Größe zu verleihen und sie als eine Welt für sich zu gestalten.

In seinen Schriften und Interviews schreibt und spricht der Bildhauer immer wieder über das Beunruhigende. Es zieht sich wie ein roter Faden durch seine Arbeit und ist fester Bestandteil seiner Kunstauffassung. Damit wird auch verständlich, warum der ideelle Dialog des Künstlers mit Alberto Giacometti, der mit der Ausstellung „Mondo segreto/Geheime Welt“ 2008/09 in Deutschland eine konkrete Form angenommen hat, genau auf dieser Ebene begründet ist. Bei dem Schweizer Bildhauer versetzt die Qual, die Unruhe, die Figuren allerdings in eine molekulare Erregung. Giacomettis Figuren sind in Bewegung. Ihre Dynamik ist regelrechte „wandelnde Beklemmung“, ein seelischer Zustand der Getriebenheit und Unstetheit, eine Suche nach Erklärungen für die eigene Verfasstheit und vermutlich auch nach Linderung im unentwegten Gehen. Bei Moroder ist die Unruhe still. Seine Figuren haben einen abwesenden Blick. Aber es ist kein leerer oder erloschener Blick, vielmehr sind die Augen damit beschäftigt, anderswohin zu schauen. Die Unstetheit der Figuren besteht gerade darin, dass sie da sind, das heißt physisch einen bestimmten Raum im Jetzt einnehmen, und sich zugleich psychisch in einer zeitlosen Dimension befinden. Moroder versetzt seine stillen Figuren nicht in Erregung und verleiht ihnen keine endgültigen physiognomischen Eigenschaften, noch setzt er Skulpturales für die Bestimmung von Regungen oder Leidenschaften ein. Die Lebendigkeit der Figuren, die seine Kunst suggeriert, ist nicht real. Sie ist viel abstrakter und universeller. Stille, Abwesenheit von Zeit, Zeitlosigkeit sind die wichtigsten Merkmale der Werke dieses Künstlers.

Und selbst wenn die Außenhaut „makuliert“ ist durch den Einsatz von Hammer und Messer, somit die Textur betont wird, der Sinn für die Oberfläche, bleibt die strenge Gestaltung der Figur – also das Form-Sein ohne Bewegung – davon nicht nur stets unberührt, sondern wird dadurch sogar noch hervorgehoben. Auch hier lässt sich ein Bezug zu Giacometti erkennen, aber mit dem Unterschied, dass das Material bei ihm mitgenommener, unruhiger erscheint. Bei Moroder überwiegt die Ebenmäßigkeit, die Vermittlung einer Form, die niemals schrill und raumeinnehmend sein will, sondern einen unvergänglichen Platz in Zeit und Raum einnehmen möchte. Selbst wenn die skulpturale Oberfläche eine größere Stofflichkeit hat, heißt das nicht, dass wie bei Balkenhol die Energie und Härte des Ausdrucks frei wird. Im Gegenteil, nie verlässt Moroder die Sphäre der meditativen Gestaltung und einer Klassizität, die die eigenen Grenzen genau kennt.

Einige Kritiker haben wegen der Fixiertheit, der körperlichen Starrheit und vielleicht auch wegen der Streckung gewisser Figuren ägyptisierende Anklänge ausgemacht. Offenkundig ist auch, dass die Holzskulptur in ihrer „primitiven“ Phase (10. bis 13. Jh.), also noch vor der Bildhauerkunst der Renaissance von Jacopo della Quercia und später von Michael Pacher in Bruneck, eine Starrheit besaß, die nicht nur dem Material geschuldet war, sondern auch den technischen Möglichkeiten, die ständig weiterentwickelt und verfeinert wurden. Wie Ernst Gombrich aufgezeigt hat, beruhte die Fähigkeit, das Material oder die Linie lebendig erscheinen zu lassen, vor allem auf dem technischen Fortschritt, der im Barock seine wichtigste Phase durchlief und zum Abschluss kam.

Heute hingegen können Bildhauer die eigene Formensprache frei wählen. Sie können entscheiden, ob die Technik, die sie anwenden, auch stilistisch relevant sein soll oder nicht. Diesbezüglich legt Walter Moroder eine besondere Kohärenz an den Tag. Seine Aufmerksamkeit für die menschliche Figur geht mit einer vollkommen autonomen Erkundung der Form einher. Das machen zwei Werkserien deutlich, die zwar sehr unterschiedlich sind, aber beide die Poetik des Künstlers fortschreiben. Flachreliefs rücken sein plastisches Werk in die Nähe der Malerei oder, besser, führen es auf die Zeichnung als ein weiterer Aspekt seiner Arbeit zurück. Dadurch wird aber auch das Oberflächenspiel, die „Facettierung“ hervorgehoben, die dem Material Leichtigkeit und der Gesamtkomposition die Wirkung einer Einheit verleiht. Die Formen sind nach wie vor wesentlich, das Volumen verflacht und wird zu einer Linie, zu einer Zeichnung aus Licht und Schatten. Bei anderen Arbeiten in Holz und Gips wiederum verliert die Figur endgültig ihr Gesicht und sind alle Ausdrucksmöglichkeiten verbannt. Was bleibt, sind Formen, wie Kokons, und die Möglichkeit, dass etwas wiedergeboren wird oder so bleibt wie es ist. Gleichwohl verweisen die Binden, der Gips und der Klebstoff, die im Laufe der Geschichte nicht nur bei den Ägyptern, sondern auch in Performances wie denen des Wiener Aktionismus Verwendung fanden, immer noch auf den menschlichen Körper. Diese Andeutungen und Gegenüberstellungen eröffnen der Kunst Moroders neue Dimensionen, die über die menschliche Figur und die Unruhe des Menschseins hinausweisen, hin zu etwas immer stärker Metaphysischem. Die Kleidung als Umhüllung und Behältnis für den Körper kann diesen repräsentieren, aber nicht ersetzen. Wenn man von der Repräsentation des Körpers ausgeht und auf eine Autonomie der Form zugeht, ist das zweifellos ein Akt der Befreiung, ein neuer, offener und sicherlich nicht exklusiver Weg der Erkundung. In der Phase seiner künstlerischen Reife macht der Ladiner die Unruhe der Veränderung sichtbar. Er will sich neuen Herausforderungen stellen, aber ohne sich von dem zentralen Gegenstand seiner Erkundung und von dem wegweisenden Entschluss zu entfernen, der ihn unverwechselbar macht. Leere schwebende Formen, Körper-Simulakren – ihre gleichzeitige Anwesenheit und Abwesenheit bestimmen auch hier die Beziehung zum Raum und lassen sich dann sogar von ihm einnehmen. Es sind offene Formen, keine geschlossenen wie bei manchen klassischen Skulpturen. Auch in diesem Punkt schreibt sich Moroder in die Tradition des 20. Jahrhunderts ein, die eine Öffnung der Raum-Formen für die Umgebung erreichte und die Begegnung mit dem Betrachter intensivierte. Zwischen Tradition und Innovation verfolgt der Künstler einen eigenen, unvorhersehbaren Weg, der zuweilen überraschende Ergebnisse bereithält. 

Valerio Dehò