Sevda Chkoutova

Natur.Weiblich II
08.09.2023 bis 21.10.2023


Vernissage: Donnerstag, 7. September  2023
18 – 20 Uhr

Gespräch um 18:30
Sevda Chkoutova (Künstlerin) und Manfred Chobot (Schriftsteller)


Sevda Chkoutova im Gespräch mit Manfred Chobot

Sevda Chkoutova beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Konstruktionen von Weiblichkeit. Der Titel der Ausstellung „Natur.Weiblich“, ist keineswegs eine Reminiszenz an den mehr als ein Jahrhundert lang geführten, patriarchalen Diskurs darüber, dass Frauen dem Bereich der Natur und Männer dem des Intellekts zuzuordnen sind und Frauen damit die Fähigkeit zu intellektueller Auseinandersetzung und zu Kreativität abgesprochen werden muss. Der Titel steht vielmehr für eine selbstbestimmte, aktive, weibliche Rückeroberung der Natur, ist eine feministische Kampfansage. Dabei referiert die Künstlerin immer wieder auf gängige Klischees. Der weibliche Akt war Jahrhunderte lang Darstellungsthema, das vorwiegend in männlicher Hand lag, provokant könnte man sagen Männlichkeit wurde durch Sehen, Weiblichkeit durch Betrachtet-Werden definiert. Die große Aufgabe für Künstlerinnen war, einen autonomen, selbstbestimmten, nicht männlichen Blick auf sich selbst zu richten.  

Sevda Chkoutova hat längst ihren Blick von herrschenden, männlichen Blicktraditionen gelöst, sie stellt provokant Fragen nach Scham, Moral, weiblicher Lust zwischen gesellschaftlichen Zuschreibungen, Normen, Zwängen und Selbsterfahrung. Der Körper ist politisch, ihr eigener nackter Körper wird zum Instrument. Sie demonstriert körperliche Autonomie, und stellt gleichzeitig Sinnlichkeit, Empfindsamkeit und Fragilität einander gegenüber. „Das Wasser, die Wolken, der Wald sowie die eigene Bettlandschaft sind Kulissen in denen die Selbstbestimmtheit und die Selbstermächtigung als Ausdruck weiblicher Stärke gefeiert wird“, wie sie selbst formuliert.

Sevda Chkoutova lenkt ihren Blick auf das, was immer noch tabuisiert ist - die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts. Sie macht die Vulva sichtbar, setzt sie angriffslustig ins Zentrum des Bildes. Bereits in den 1970er Jahren untersuchten Künstlerinnen der Feministischen Avantgarde wie Hannah Wilke, Judy Chicago oder Suzanne Santoro das weibliche Genital. Erst fast 30 Jahre später schreibt die Kulturwissenschaftlerin Mithu M. Sanyal eine Kulturgeschichte der Vulva, die ihre kulturelle Bedeutung ebenso sichtbar macht, wie die Anstrengungen sie aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verdrängen. Sevda Chkoutova setzt das Verdrängte erneut, dezidiert in Szene. In einer Serie von 12 Zeichnungen bettet sie die Vulva in eine kaum wahrnehmbare Waldlandschaft. Die Aufteilung in einzelne Blätter versinnbildlicht die Entfremdung vom eigenen Körper und „die Angst abgeschnitten zu sein, die eigene Kraft nicht mehr spüren zu können“.

Herrschende Schönheitsnormen und medial transportierte Anforderungen erschweren Frauen einen entspannten Zugang zum eigenen Körper und unberührte Natur als emotionale Ressource ist zunehmend bedroht, wird als ambivalenter Ort wahrgenommen. Wo soll sich Frau in dieser, das existentielle Dasein verstörenden Situation verorten?

Herausfordernd unterzieht die Künstlerin den traditierten Topos Frau-Natur einer neuen Befragung. Der unberechenbaren Veränderlichkeit von Wolkenformationen setzt die Künstlerin, in großem Format, eine Vulva gegenüber. Sie fokussiert die Kraft des weiblichen Körpers, dessen Eigenwahrnehmung zwischen stürmisch, ruhig und schlummernd oszilliert. Die eigene Hand, der Gestus der lustvollen Selbsteroberung steht für weibliche sexuelle Autonomie.

Die Bandbreite von Sevda Chkoutovas zeichnerischen Ausdrucksformen ist groß. Vorwiegend mit Graphitstift modelliert sie virtuos mit Schraffur - oft kraftvoll dynamisch, dann wieder zart und so dicht, dass die einzelnen von sicherer Hand gesetzten Striche kaum mehr wahrnehmbar erscheinen. Nur hie und da wird eine einzige Farbe eingesetzt, rosa - bewusst als Gegenentwurf zu gängigen Klischeevorstellungen von Lieblichkeit und Naivität.

Sevda Chkoutovas poetische Arbeiten erzählen von der Rückeroberung weiblicher Lust und Körperlichkeit und verleihen Carolee Schneemanns Statement aus den 1980er Jahren neue Aktualität. „In gewissem Sinn machte ich mit meinem Körper ein Geschenk an andere Frauen, indem ich unsere Körper uns selbst zurückgab.“

Sabine Fellner