Oleg&Ludmilla

Das Vertraute Ungreifbare
12.04.2024 bis 24.05.2024


Vernissage: Donnerstag, 11. April 2024
18 – 20 Uhr
Eröffnung: Maria Christine Holter (Kunsthistorikerin)

Das österreichische Künstler*innenduo Oleg&Ludmilla thematisiert aktuelles und historisches Zeitgeschehen in Form von Objektkästen bzw. Dioramen. Es sind gebaute Miniaturwelten, verschobene Wirklichkeiten wie auch neu kreierte Wesen, die ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Zeitgeschehen wie die Covid-19-Pandemie, die Problematik des Klimawandels, atomare Bedrohungen sowie aufbrechende kriegerische Auseinandersetzungen und daraus folgende Fluchtbewegungen rücken in den Fokus des Geschehens. Die Schaukästen von Oleg&Ludmilla sind Zeitfenster voller Entdeckungs- und Assoziationsmöglichkeiten.

Persönliches Statement von Oleg&Ludmilla
Unsere Arbeiten zeigen phantasievolle Welten in Form von Objektkästen bzw. Dioramen, die unter anderem aktuelles und historisches Zeitgeschehen thematisieren. Es sind Scheinwelten, verschobene Wirklichkeiten wie auch neu kreierte Wesen, die ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.
Die Collagen, Assemblagen und Kastenkonstruktionen basieren ihrerseits auf den Prinzipien von Akkumulation, Auswahl, Anordnung und Einschließung. Die Herausforderung besteht darin, künstlerische Formen zu finden, die imstande sind, die zahllosen poetischen Verbindungen der einzelnen Gegenstände heraus zu destillieren und ihnen einen Rahmen oder eine Form zu geben, gleichzeitig aber jene Offenheit zu bewahren, um deren assoziative Möglichkeiten zur Entfaltung kommen zu lassen.
Das Greifen nach Bedeutung ist der Faden: Die Geheimnisse von Materie, Zeit, Bewegung, Raum und Licht, Zufall und Natur aufzuspüren. Wir schaffen in unseren Arbeiten eine Verknüpfung von Aktuellem und Historischem, aber auch von Profanem und Individuellem – unsere Arbeitsweise spannt einen Bogen von spontaner Intuition, klar strukturierter Komposition bis hin zu akribischer Detailgenauigkeit.

Oleg&Ludmilla
Christine Pirker und Reinhold Egerth arbeiten seit Jahren an gemeinsamen Projekten und gründen 2019 die Künstlerpartnerschaft Oleg&Ludmilla.

Reinhold Egerth, geboren 1966 in Bad Aussee, Studium Malerei und Graphik an der Akademie der bildenden Künste Wien, zahlreiche Preise und Ausstellungen im In- und Ausland, lebt und arbeitet in Wien und St. Peter bei Rennweg am Katschberg.

Christine Pirker, geboren 1964 in Gmünd, Publizistik- und Japanologie-Studium an der Universität Wien, Ausstellungen im In- und Ausland, lebt und arbeitet in Wien und St. Peter bei Rennweg am Katschberg.



Eröffnungsrede zur Ausstellung „DAS VERTRAUTE UNGREIFBARE“
von Maria Christine Holter

Oleg&Ludmilla – Das Vertraute Ungreifbare – Galerie Chobot, am 11. April 2024

Schon bei unseren ersten Kontakten im Rahmen der Ausstellung HUMAN_NATURE, die ich gemeinsam mit Julia Hartmann im Sommer 2023 im Künstlerhaus 2023 kuratieren durfte, war ich von Christine Pirker und Reinhold Egerth aka Oleg&Ludmilla überzeugt: Ich habe es hier nicht nur mit tollen Kunstschaffenden zu tun, sondern auch mit einem äußerst sympathischen und sehr professionellen Künstler*innen-Duo.
O&L trugen die wichtige und viel beachtete Arbeit „Bittere Berge“ zur Ausstellung bei: eine dramatisch beleuchtete, drehbühnenartig inszenierte Schaukasten-Installation. Scharfzüngig kommentierten sie darin den gegenwärtigen Zustand des alpinen Raums und dessen künftig noch deutlicher spürbar werdenden Wandel in der fortschreitenden Klimakrise.

Statt majestätische Bergspitzen, schneebedeckte Gipfel oder blühende Bergwiesen wurden in „Bittere Berge“ der Klimaerwärmung, Übertourismus, die ungehemmte Nutzung der Ressourcen und der Rückgang der Artenvielfalt zur Sprache gebracht. Verdorrte Nadelbäume vom Borkenkäfer oder alpinen Orkanböen dahingerafft; statt Pulverschneeidylle ein dünnes weißes Band in der ansonsten grünen Landschaft, auf dem sich die wohl letzten begeisterten Skifahrer*innen tummeln. Rehe und Hirsche beobachten das absurde Treiben von oben herab, von einem sonst den Menschen vorbehaltenen Hochstand aus. In Anlehnung an den kunsthistorischen Topos des „mundus inversus“ (verkehrte Welt) übernimmt eine „niedere“ Spezies die erhabene Position des Menschen. Bald Realität?

Nach unserer schönen Zusammenarbeit bei der Ausstellung luden mich die beiden Kunstschaffenden ein, mich näher mit einer ihrer Werkgruppen im Rahmen eines Katalogtextes auseinanderzusetzen, konkret mit den sogenannten Objektkästen, von denen 7 phantastische Exemplare heute im Zentrum dieser Ausstellung stehen. Der Text ermöglichte es mir, mich tiefer mit dem spannenden Werk von Oleg&Ludmilla auseinanderzusetzen.
Und deshalb stehe ich heute auch hier, um Sie hoffentlich kurzweilig an meinen Beobachtungen und Gedanken darüber teilhaben zu lassen. Der Katalog wird im Übrigen noch im Rahmen der Laufzeit der Ausstellung erscheinen, aber darüber erfahren Sie mehr von der Galeristin und den Künstler*innen.

Die heutige Präsentation steht unter dem kryptischen Titel „Das Vertraute Ungreifbare“. Sie umfasst den extra für das Schaufenster der Galerie angefertigten Leuchtkasten „Die Wege und Irrwege der Errungenschaften im Wettlauf gegen die Zeit“ (Sie merken schon o. T. spielt es bei den beiden nicht), der dauerhaft leuchtend auch bei geschlossener Galerie die Aufmerksamkeit auf das Werk der beiden ziehen wird. Im Nebenraum ist eine brandneue Serie von objekthaft präsentierten Fine-Art-Prints zu Materialcollagen die „Poetischen Verstrickungen“ zu sehen. Materialcollagen, die quasi als sehr eigenständige Recycling-Art aus den Materialbeständen der Objektkästen entstanden sind. Und eben auch diese Objektkästen oder Dioramen, gebaute Miniaturwelten oder Guckkästen – wie immer Sie sie nennen wollen – von denen wir hier umringt sind.

Bei diesen Objekten handelt es sich um eine seit 2019 stetig anwachsende Werkgruppe von bislang 17 spiegelfrei verglasten, furnierten Holzkästen in annähernd gleicher Größe, die ein reiches, in den unterschiedlichsten Techniken ausgeführtes Innenleben aufweisen. Von dem äußerst sorgfältig arbeitenden Team wurden für Ausstellungszwecke zudem diese feinen Holzkonstruktionen entwickelt und jeder Kasten hat im Zustand des Transports oder der Archivierung auch eine eigene „Behausung“, anfangs waren dies selbst gebaute Holzkästen, nun aber wesentlich leichter manövrierbare Kartonbehälter.

Was haben Sie beim ersten Herumgehen und Verweilen vor den Kästen empfunden und assoziiert? Bewunderung ob des handwerklichen Könnens? Staunen über die aus unterschiedlichen Kontexten zusammengetragenen, teils vertrauten, teils schwer zu deutenden Details? Den Drang, den rätselhaften Titeln auf die Spur zu kommen und sich womöglich eine Geschichte zu den einzelnen Objekten auszudenken? Vielleicht fühlten Sie sich auch an Szenographien, Theatermodelle erinnert – doch die Stücke dazu müssten erst geschrieben werden!

Hier ist es also einmal völlig umgekehrt: Die autonomen Kunstwerke Oleg&Ludmillas wurden nicht für oder zu Bühnenliteratur geschaffen, ganz im Gegenteil. In unseren Köpfen entsteht ob des erzählerischen Charakters der Werkserie so manches phantastische, surreale Narrativ, das durchaus dramatischen oder filmischen Charakter haben kann. „Die Minenfelder von Delos“ (im Übrigen der zeitlich erste aller Kästen) – eine griechische Tragödie! „Die Unabdingbarkeit des Entsetzens“ – ein B-Picture-Horrorfilm. „Paradize Reloaded“ – eine postfeministische Komödie …
Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass so manche Titel ebenso rätselhaft bleiben wie ihr Gegenstand und wir unserer eigenen Wahrnehmung vertrauen sollen, um uns den teils dystopischen, teils utopischen, immer aber magisch anziehenden Kunstwerken Oleg&Ludmillas anzunähern.

Exemplarisch sei hier „Die Unabdingbarkeit des Entsetzens“ von 2020 herausgegriffen. Es ist Teil einer Gruppe von Objektkästen, die während der Covid-19-Pandemie geschaffen wurden. In stilistisch ähnlicher Ausführung bildet es mit zwei weiteren, hier nicht ausgestellten Kästen eine Trilogie. Als Hintergrund sehen wir  – wie auch bei fast allen anderen Dioramen – eine bemalte Papiercollage. Dieser speziellen liegt eine historische Fotografie aus dem Kaiser-Franz-Josef-Spital, dem ehemaligen Seuchenspital Wiens zu Grunde. Während der Corona-Zeit diente ebendieses Krankenhaus ja wieder als Schwerpunktspital für Infektionskrankheiten, wie Sie sich sicher aus den Medien noch erinnern. Im Kastenraum von „Die Unabdingbarkeit des Entsetzens“ findet sich alles, was man mit einem Krankensaal des ausgehenden 19. Jahrhunderts assoziiert: ein paar nüchterne Metallbetten, weitere Metallrohrmöbel und sterile Innenbeleuchtung – alles in Miniaturausgabe. Doch diese handwerklich meisterhaft ausgeführte Manifestation der künstlerischen Phantasie Oleg&Ludmillas hat noch weitere wesentlich unbehaglichere Details aufzuweisen: psychiatrische Netzbetten und im Netz gefangene menschliche Figürchen, bedrohliche Infusionsgalgen und, verglichen mit dem Maßstab der restlichen Szene, ein surreal aufgeblähtes Tierunterkiefer, das teils wie von Spinnweben eingesponnen mit Gaze bedeckt ist. Der Tod blickt uns direkt ins Gesicht. Welches Martyrium muss sich in diesem imaginierten Krankenzimmer in den Köpfen der Patient*innen abgespielt haben? Wir wollen es gar nicht wissen!

Über die Jahre verändern sich die thematischen Gewichtungen der Dioramen. Immer aber fließt aktuelles Zeitgeschehen in die inhaltlichen Ausführungen der Objektkästen ein, ohne jedoch vordergründig zu wirken: die schon genannte Covid-19-Pandemie, die aufbrechenden kriegerischen Auseinandersetzungen (wie in „Das Minenfeld von Delos“ oder „Der Palast des Despoten“), die daraus resultierenden Fluchtbewegungen (wie in „Das Boot der Medusa“) oder die atomare Bedrohung (wie in „Weißer Turm mit langen Schatten“ – als Hintergrundcollage diente hier übrigens ein Foto vom Reaktor 3 aus Tschernobyl). Auch naturwissenschaftliches und ökologisches Interesse spiegelt sich vielen Arbeiten wider. Ab der Installation „Bittere Berge“ von 2023 werden die Themen Klimawandel, Umweltzerstörung und Artensterben immer drängender und manifestieren sich in den Dioramen. Da herausragende Kunst oft von solcher inspiriert ist, kann die Kunstgeschichte ebenfalls Auslöser für Gestaltungsideen bei Oleg&Ludmilla sein: von der Faszination, die von den Stichen und Radierungen Giovanni Battista Piranesis ausgeht, lassen sich die beiden gerne anstecken: Der Hintergrund zu Objektkasten „Spuren ins Elysion“ ist beispielsweise aus Piranesis Radierung „Die Überreste des antiken Krematoriums in Rom“ entnommen und in „Paradize Reloaded“ findet sich eine Appropriation der sog. Spiridon-Leda, der mythologischen „Leda mit dem Schwan“ aus der Leonardo-Schule.

Zuletzt noch ein paar Worte zur Arbeitsweise von Oleg&Ludmilla: Wie in jeder guten Kooperation arbeiten die beiden sowohl gemeinschaftlich als auch arbeitsteilig. Voraussetzung für die materialintensiven Dioramen ist eine wohl bei Pirker und Egerth stark ausgeprägte Sammelleidenschaft und der Sinn für das Kuriose. Flohmärkte, Altwarenhandlungen, Modellbauzubehör-Geschäfte sind wahre Fundgruben für die beiden. Für die Gestaltung von Flora und Fauna ist vor allem Christine Pirker verantwortlich. Ihre wunderbaren, in Wachs getauchten vernähten Papiermascheetiere und Fabelwesen sowie die gut ausgewählten, klug platzierten pflanzlichen und textilen Elemente tragen wesentlich zur bezaubernden Wirkung der Dioramen bei. Selbiges gilt für die technische Fertigung der Kästen und der elektrischen Konstruktionen sowie die hervorragende Lichtregie, die jeweils in den Händen von Reinhold Egerth liegen. Es ist aber vor allem das fortwährende künstlerische „Ping-Pong-Spiel“, das die beiden bei der Gestaltung ihrer Dioramen zu Höchstform auflaufen lässt. Und das Resultat dürfen wir heute alle hier gemeinsam genießen!