Architektur sichtbar und spürbar machen
Innovativ
durchdachte Architektur, die mittels konsequenter Verarbeitung
spezifischer Materialien zur Form gelangt. Johann Georg Gsteu, Wiener
Architekt mit Tiroler Wurzeln, folgt diesem Credo seit über einem halben
Jahrhundert. Er gehört, obwohl kein „Viel-Bauer“, zu den zentralen
Figuren der österreichischen Architektur der Zweiten Republik.
Ausdauer,
Beharrlichkeit, Überzeugungskraft und nicht zuletzt Durchhaltevermögen,
diese charakteristischen Eigenschaften, die seine Position als
freischaffenden Architekten sicherten, formten sich in Kindheit und
Jugend an diversen Lebensstationen, zu denen unter anderem Innsbruck,
Amras, Bad Ischl, Hallstatt oder Berlin gehörten. Drei Kriegsjahre
verbrachte Gsteu als Schüler an der Holzfachschule Hallstatt. Diese
künstlerisch-plastische Periode legte einen Grundstein für seine spätere
Bauauffassung und sein außergewöhnliches Interesse an Figuralem. Nach
Kriegsende und Heimkehr aus der Gefangenschaft beschloss Gsteu, die
Ausbildung in Hallstatt nicht abzuschließen, um sich – gemäß einer
Familientradition – im Baubereich ausbilden zu lassen. An der
Staatsgewerbeschule in Salzburg, Abteilung Hochbau, studierten im
gleichen Jahrgang Friedrich Achleitner, Wilhelm Holzbauer und Friedrich
Kurrent.
1950–53 studierte er mit den genannten Kollegen an der
Akademie der Bildenden Künste Wien, Meisterschule für Architektur bei
Clemens Holzmeister.
Nach dem Studium wurde er freischaffender
Architekt, bis 1958 in einer Bürogemeinschaft mit Friedrich Achleitner.
Die Arbeitsgemeinschaft Achleitner/Gsteu zählte 1956 neben der Arbeitsgruppe 4 in Wien zur führenden Architekturavantgarde.
Als
frühes Hauptwerk Gsteus gilt das 1963–1965 erbaute Oberbaumgartner
Seelsorgezentrum und in den 1960er Jahren entstand in St. Margarethen,
Burgenland, das Bildhauerhaus für das Symposium Europäischer Bildhauer.
Bis heute ist Gsteu für das Bildhauersymposium St. Margarethen als
Vorstandsmitglied tätig. 1968 erhielt er den Staatspreis für
Architektur, 1976 folgte der Architekturpreis der Stadt Wien.
Von 1980–1992 unterrichtete er Architektur und Design an der Gesamthochschule Kassel.
Gsteu
postulierte immer wieder ein proportionales Verhältnis zwischen
Funktion, Form und Inhalt. Ein elementarer Gedanke, der ihn seit 2007
veranlasste, aus vorgefertigten Quadrat-Profilen, Plastiken zu
entwickeln. Die Herausforderung war, ein Material einzusetzen, das
normalerweise im Stahlhochbau als Stützen für Hallenbauten Verwendung
findet. Um den Kopf darzustellen, sind die Quadrat-Profile der Voest ein
vorgegebenes Maß – die übrigen Körperteile sind nach Leonardos
Körpermaßen gegliedert. Anfangs waren die Skulpturen weiblich oder
männlich determiniert, inzwischen sind sie geschlechtsneutral. Ein
wesentliches Moment der Plastiken ist, dass man ins Innere der Körper
blicken kann, in den Kopf, in den Bauch, wodurch eine Transparenz
entsteht, die bei Plastiken in der Regel nicht gegeben ist.